Seit ein paar Jahren beschäftigen wir uns mit der Transformation von Vertriebsorganisationen. Neben kulturellen Aspekten geht es dabei immer auch um den Kern einer Vertriebsorganisation – Den Vertriebsprozesstyp. Vor ein paar Jahren haben wir daher ein Modell entwickelt, das ursprünglich dafür gedacht war, uns selbst Klarheit über die verschiedenen Reinformen der Vertriebsprozesstypen zu schaffen und diese bei unseren Kunden zu sortieren. In jüngerer Vergangenheit habe ich jedoch festgestellt, dass das Modell auch sehr gut dafür geeignet ist, die Transformation der Vertriebsorganisation in ihrem Kern zu beschreiben, weil in der Transformation häufig auch verschiedene Prozesstypen vorkommen und sich ineinander verändern. In diesem Beitrag möchte ich dir daher diese vier Grundtypen vorstellen, sodass du in der Lage bist diese auch in deiner Vertriebsorganisation zu identifizieren und dir zu überlegen, ob aktuell die Prozesstypen in Reinform vorhanden sind oder ob du mit Mischformen arbeitest. Mischformen sind grundsätzlich möglich, ziehen jedoch 2-3 Nachteile mit sich.

1. Der Opp-Generierer/ Telefonverkäufer

Der Opp-Generierer oder Telefonverkäufer ist ein Prozesstyp, der zwei verschiedene Anwendungsfälle bedient, jedoch sehr ähnliche Handgriffe und Voraussetzungen hat. Der Opp-Generierer erzeugt, wie der Name schon sagt „Opportunities“. Opportunities ist ein Wort, das sehr unterschiedlich definiert wird. In unserem Fall meinen wir damit eine Verkaufschance, das heißt ein Anwender oder Entscheider eines Accounts im Zielkundenkorridor, der von sich aus etwas verändern möchte und daher eine Veränderungsbereitschaft mitbringt. Der Opportunity-Generierer als Vertriebsprozesstyp wird im Jahr 2021 häufig zwischen zwei andere Prozesse eingebettet: Einmal den Anfragen-Verwandler (Skizze: unten gestrichelter Trichter) oder den Marketing-Inbound-Lead-Generierer (ist in dieser Skizze nicht dargestellt). Der Opp-Generierer hat normalerweise das konkrete Ziel, Termine für den Außendienst oder für qualifizierte Verkäufer zu organisieren und fungiert daher als sogenannte Starteinheit. Die Starteinheit bedeutet, dass sich eine separate Einheit mit der Organisation und der Terminierung von Opportunities beschäftigt. Der Opp-Generierer wird meist von einem spezialisiert ausgebildeten Telefonverkäufer vorgenommen, der die Qualität der Opportunity evaluiert und überprüft, bevor er sie an einen Außendienstverkäufer oder an einen digital-Verkäufer weitergibt. In bestimmten Fällen wird die Starteinheit nicht von der ausführenden Einheit getrennt. In diesen Fällen ist der Opp-Generierer ein Telefonverkäufer. Das heißt, das Ziel ist nicht der Terminabschluss (wie beim Opp-Generierer), sondern der Produktabschluss am Telefon. Hierbei geht es meistens um einfache Produkte oder Dienstleistungen, die aus Kundensicht einen schnellen Entscheidungsprozess erfordern. (Zum Beispiel Teilnahme an Trainingsmodulen, Up- und Cross Sells, Verlängerung von Lizenzprodukten, …).

Gesteuert werden Opp-Generierer und Telefonverkäufer durch Brutto-Calls, Netto-Calls (telefonische Entscheider-Gespräche) und dem Vertriebsergebnis (Produkt- oder Terminabschlüsse). Zwischen den Funnel-Stufen befinden sich zwei Konvertierungsraten, wobei die erste Konvertierungsrate, die sogenannte Erreichbarkeitsquote, nur bedingt durch den Verkäufer beeinflusst werden kann. Die zweite Konvertierungsrate, die sogenannte Abschlussquote kann dagegen sehr gut durch den Verkäufer beeinflusst werden. Der Erfahrungswert nach Corona ist, dass bei bestimmten Branchen die Erreichbarkeit stark abgenommen hat, da immer weniger Gespräche über die Telefonanlage aus der Telefonzentrale zum Entscheider gelangen werden können. Das liegt daran, dass viele Führungskräfte und Entscheider im Mobile-Office arbeiten und mit Handynummern versehen sind. Ein guter Opp-Generierer/ Telefonverkäufer führt eine Bedarfsanalyse am Telefon durch. Das heißt, er qualifiziert die Veränderungsbereitschaft des Ansprechpartners und gibt idealerweise eine Qualitätseinschätzung in Form von drei bis vier Kriterien mit dem erzeugten Vertriebsergebnis ab. Dadurch kann nicht nur die Anzahl der erzeugten Vertriebsergebnisse pro Zeiteinheit, sondern auch die Qualität festgestellt werden.

2. Der Anfragen-Verwandler

Der Anfragen-Verwandler schließt direkt an den Opp-Generierer an. Wenn der Opp-Generierer auch Starteinheit genannt wird, wird der Anfragen-Verwandler auch ausführende Einheit genannt. Typischerweise gibt es zwei Kanäle, wie Anfragen-Verwandler versorgt werden: Einmal über den Outbound- (Opp-Generierer) oder über den Inbound-Weg (Marketingkanäle zum Beispiel Kontaktformular auf Webseite oder Webinare). Ein Verkäufer im Anfragen-Verwandler benötigt grundsätzlich andere Kompetenzen als der Opp-Generierer, weil er andere Aufgaben hat. Die Aufgabe des Anfragen-Verwandler ist eine Opportunity gezielt zu verwandeln. Je nach Produkt oder Dienstleistung ist das komplexer oder einfacher. Die Komplexität des Verwandelns hängt direkt von der Anzahl der Einkaufsbeeinflusser im Verkaufsprozess ab. Das bedeutet, dass wenn komplexe Produkte und Dienstleistungen verkauft werden, zum Beispiel eine Software, und daher viele Kaufbeeinflusser auf Kundenseite vorhanden sind, die Komplexität stark zunimmt.

Um den Anfragen-Verwandler zu steuern, gibt es je nach Komplexität unterschiedliche Funnel-Stufen (in unserem Beispiel sind vier angezeichnet, woraus drei Konvertierungsraten und drei Phasendauern resultieren). Typischerweise hat der Verkäufer sehr viel Einfluss auf die Konvertierungsraten und deutlich weniger Einfluss auf die Phasendauer. Daher ist es notwendig genug Zufluss in den Opportunity-Funnel (, der den Prozesstyp Anfragen-Verwandler steuert) sicherzustellen. Wenn Neukunden akquiriert wurden, erzeugt der Anfragen-Verwandler nach einer gewissen Zeit (zum Beispiel nach einer Kampagnenlaufzeit) automatisch Verlängerungs-Opportunities, die er jeweils wieder betreut. Dadurch ergibt sich eine dritte Pipeline, mit der der Anfragen-Verwandler gefüllt wird. Je nach Produkt oder Dienstleistung kann die gesamt kumulierte Phasendauer nach einer erzeugten Opportunity zwischen vier Wochen und 18 Monaten betragen. Das hängt sehr stark vom Produkt oder der jeweiligen Dienstleistung ab, die durch den Anfragen-Verwandler verkauft werden soll.

3. Der Schlüsselkunden-Entwickler

Der Schlüsselkunden-Entwickler ist ein Prozesstyp, der sich fundamental von den ersten beiden unterscheidet. Beim Schlüsselkunden-Entwickler geht es darum, innerhalb eines bestimmten Accounts die Potentialausschöpfung (Share Wallet) auszuweiten. Der Schlüsselkunden-Entwickler zeichnet sich dadurch aus, dass innerhalb einer Organisation mehrere Leads vorhanden sind, aus denen potenzielle Opportunities entstehen. In unserem Beispiel hat der Schlüsselkunden-Entwickler drei Leads erfolgreich zum Kunden entwickelt und baut sich so sein Netzwerk innerhalb der Organisation immer weiter aus. Dabei unterscheidet den Schlüsselkunden-Entwickler von den anderen beiden bisher gezeigten Prozesstypen, dass er in erster Linie gar nicht unbedingt auf Umsatz aus ist. Sein Fokus ist stattdessen die Beziehungsarbeit und das Schaffen eines Kundennutzen. Natürlich sind eine weitsichtige Analyse und ein frühzeitiges Identifizieren der möglichen Leads nicht schädlich. Das dient auch der frühzeitigen Potentialerkennung, um so einen Account zu identifizieren, der sich für den Schlüsselkunden-Entwickler eignet.

Das Ziel des Schlüsselkunden-Entwicklers ist das Durchlaufen mehrerer Phasen bis hin zur strukturellen Verzahnung. Diese erfolgt, wenn der Verkäufer im Schlüsselkunden-Entwickler eine bestimmte Anzahl an Leads zu Kunden verwandelt hat und dadurch zu einem festen Bestandteil der Organisation wird. Ab diesem Punkt spricht man von einer strategischen Partnerschaft, bei welchen für beide Parteien die Kosten der Veränderung steigen. Ab diesem Zeitpunkt ist es sowohl für den Kunden als auch für den Lieferanten nicht mehr so einfach die Beziehung vollständig zu beenden. Für den Lieferanten stellt der Kunde dann einen wirklichen Schlüsselkunden dar, der einen hohen Anteil des Umsatzes ausmacht. Für den Kunden stellt der Lieferant ein hohes Ausmaß an Sicherheit in bestimmten Themenbereichen dar. Im Allgemeinen wird der Schlüsselkunden-Entwickler auch Key-Accounter genannt, wobei ich versuche, den Begriff Key-Account weitestgehend zu vermeiden, weil er sehr viele unterschiedliche Interpretationen beinhaltet.

4. Der Schlagzahlkreislauf

Der Schlagzahlkreislauf ist der vierte Prozesstyp, der grundsätzlich anders funktioniert als die bisher anderen aufgezeigten drei. Das Wesen des Schlagzahlkreislaufs ist ein fester Kundenstamm mit einer fest definierten Anzahl an Kunden oder einem festdefinierten Gebiet, in welchem sich der Kundenstamm befindet. Häufig erleben wir, dass die Gebiete geografisch festgelegt werden. Die Idee des Schlagzahlkreislaufs ist, dass der Kunde einen wiederkehrenden Bedarf deckt (Verbrauchsgüter) und dadurch regelmäßig betreut wird. Normalerweise greift innerhalb des Kundenstamms das Pareto-Prinzip ziemlich gut, welches besagt, dass 80% des Umsatzes durch eine sehr geringe Anzahl der Kunden innerhalb des Kundenstamms erzielt wird.

In der Realität erleben wir, dass der Schlagzahlkreislauf nur sehr lose gesteuert wird. Häufig obliegt es dem Verkäufer selbst, in welcher Reihenfolge und in welcher Intensität er welchen Kunden anfährt oder anruft. Die Verkäufer priorisieren in der Regel Umsatz, was bedeutet, dass die umsatzstärksten Kunden häufig kontaktiert werden. Auch Kundenbeziehung ist ein wichtiger Faktor. Das heißt die Kunden, zu denen Verkäufer eine gute Beziehung pflegen, werden häufig besucht. Die Kennzahl, die häufig komplett außer Acht gelassen wird, ist das Potenzial, welches besagt, wie viel Umsatz ein Kunde wirklich bringt und wie viel Potentialausschöpfung aktuell vorhanden ist (Share of Wallet).

Der Schlagzahlkreislauf optimiert sich bei einem gesteuerten Kundenfluktuationsprozess. Das bedeutet, dass bestimmte Kunden, die nicht in ein Kundenstamm passen, entfernt werden und neue entwickelbare Kunden hinzukommen. Der Schlagzahlkreislauf ist häufig die ursprünglichste Form der Vertriebsstruktur, die wir bei unseren Kunden erleben, jedoch im Jahr 2021 häufig nicht mehr die beste Form darstellt. Das bedeutet, ein häufiger Transformationsprozess ist der ursprüngliche Schlagzahlkreislauf und bei manchen Segmenten zu behalten aber in anderen Segmenten in den Bereich Opp-Generierer, Anfragen-Verwandler oder sogar in den Schlüsselkunden-Entwickler zu transformieren. Wichtig ist, dass ein großes Potential an Effizienzsteigerung entsteht, wenn ein Verkäufer in mehr als einem Prozesstyp unterwegs ist.

Die häufigsten Fehler

  1. Keine Abtrennung zwischen Starteinheit und ausführende Einheit: Im Opp-Generierer / Telefonverkäufer ist der häufigste Fehler, dass keine Abtrennung zwischen Starteinheit und ausführende Einheit vorhanden ist. Das bedeutet, dass im Alltag des Verkäufers ein ganz natürlicher Priorisierungskonflikt entsteht. Wenn ein Verkäufer zwei Alternativen hat, nämlich erstens den Opp-Generierer und zweitens den Anfragen-Verwandler, wird er den Anfragen-Verwandler vorziehen, weil er deutlich komfortabler ist und daher den Opp-Generierer (häufig Kaltakquise) vernachlässigen. Das führt dazu, dass erst dann neue Opportunities generiert werden, wenn der Anfragen-Verwandler so gut wie leer ist. Das wiederum führt zu einer Sinuskurve in der Umsatzentwicklung.
  2. Unqualifizierte Leads: Die Qualität der Ergebnisse, die der Opp-Generierer oder auch Telefonverkäufer erreicht, hängt von der Qualität der Lead-Basis ab, mit der gearbeitet wird. Je qualifizierter Leads sind, desto besser werden auch die Ergebnisse sein. Früher wurden Leads von Datenbanken gekauft, was jedoch häufig zu veralteten Kontaktdaten führte, wodurch die Opp-Generierer/ Telefonverkäufer auf eine sehr geringe Schlagzahl pro Tag gekommen sind. Heute im Jahr 2021 werden Leads häufig im Inbound-Marketing zum Beispiel durch Kontaktformulare, Newsletter-Anmeldungen oder durch Webinare erzeugt. Diese weisen wiederum eine sehr hohe Datenqualität auf.
  3. Keine integrierte Bedarfsanalyse und fehlender Kontakt zum Entscheider: Im Anfragen-Verwandler ist ein großer Fehler, dass keine Bedarfsanalysen integriert werden, sondern der Fokus auf reine Produktdemos herrscht. Das führt dazu, dass die ersten Konvertierungsraten in der Regel sehr hoch sind, weil alle Kunden ein Angebot bekommen. Die letzte Konvertierungsrate ist dagegen sehr gering. Das wiederum sorgt dafür, dass bei den Opportunities keine doppelte Qualitätsbewertung vorgenommen wird und somit alle Opportunities bis zur letzten Funnel-Stufe durchgeschleppt werden. Ein weiterer großer Fehler ist der fehlende Kontakt zum Entscheider. Häufig findet viel Kommunikation mit Anwendern oder Delegierten statt, weil Verkäufer sich nicht trauen, aktiv den Kontakt zu Entscheidern anzufragen oder anzufordern. Das wiederum führt zu einer verzehrten Wahrnehmung der Veränderungsbereitschaft bei einem potenziellen Kunden und somit auf Seiten des Verkäufers zum Prinziphoffnung.
  4. Fokus auf kurzfristigen Umsatz: Im Schlüsselkunden-Entwickler ist ein großer Fehler, dass zu viel Fokus auf kurzfristigem Umsatz liegt. So funktioniert sogar häufig in diesem Bereich die Vertriebssteuerung so, dass eine Monatssteuerung vorliegt, obwohl der Verkäufer nur bedingt bis gar nicht beeinflussen kann, wann der nächste große Umsatzsprung bei einem Kunden erreicht ist. Wenn ein Kunde vorher in einer Geo-/ Regionalstruktur gearbeitet hat, kann es auch sein, dass ein Schlüsselkunde von mehreren Verkäufern betreut wird, was zu unterschiedlichen Vertriebsvorgehensweisen in der Kundenentwicklung führt. Außerdem kann es dazu führen, dass wichtige Informationen nicht geteilt werden und Verkäufer aus einem Haus gegeneinander arbeiten.
  5. Fehlende Potentialdaten: Im Schlagzahlkreislauf ist der größte Fehler, dass so gut wie immer keine Potentialdaten vorhanden sind. In der Realität erleben wir es sehr selten, dass aktuelle Potentialdaten vorhanden sind und somit die eigentlich notwendige Form der Kunden-Priorisierung nicht möglich ist. Das führt dazu, dass die Kunden-Priorisierung erzwungenermaßen nur mit Umsatz möglich ist oder den Verkäufern selbst überlassen wird.

Fazit

Welche Grundtypen der Vertriebsprozesse sind bei dir im Einsatz? Hast du die Reinformen vertreten oder sind Mischformen vorhanden? Welche Mischformen lohnt es sich in den nächsten Jahren aufzulösen, damit auch du die Entwicklungsgeschwindigkeit deiner Vertriebsorganisation steigern kannst? Wichtig ist noch Folgendes: Im Jahr 2021 wird das Recruiting geeigneter Verkäufer immer systemkritischer. Durch eine saubere Trennung der Vertriebsprozesstypen hast du auch eine saubere Trennung der Anforderungsprofile, weil Verkäufer in den vier verschiedenen Prozesstypen grundsätzlich andere Kompetenzen und Fähigkeiten benötigen. Die eierlegende Wollmilchsau, also ein Verkäufer, der alle vier Kompetenzen vereint, führt zum sogenannten Heldenvertrieb. Solltest du so eine Person finden, bedeutet das, dass dein Vertrieb nicht skalierbar ist und in der Regel von Einzelpersonen abhängig ist.

 

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